„Jesus ist wie Du und ich – sehr offen.“


Detlev F. Neufert im Gespräch mit Ulrike Nimz von der Freien Presse, Sachsens größter Zeitung, aus einem besonderen Anlass: Es ist der 24. Dezember – Jesus Geburtstag.

 

 

Freie Presse: Herr Neufert, Interviews mit Jesus sind eigentlich Spinnern oder Satirikern vorbehalten. Wo ordnen Sie sich ein?

Ich bin ein Fragender, würde ich sagen.

Wie organisiert man ein Zwiegespräch mit dem Sohn Gottes? Er ist im wahrsten Sinne des Wortes ein viel gefragter Mann.

Ich bin Filmemacher, Leute zu interviewen, ist mein Job. 2007 habe ich „Himmelswiese“ gedreht, eine Doku über ein Dorf in Thailand, wo Aidswaisen ein würdevolles Sterben ermöglicht werden soll. Ärzte hatten die Kinder aufgegeben, aber vielen von ihnen geht es heute gut. Das Thema Leben und Tod beschäftigte mich auch danach: Welche Rolle spielt unser Glaube? Sind wir nur Blümchen, eingepflanzt, um zu Dung zu werden? Ich habe mir überlegt, gleich den Chef zu fragen, vielmehr seinen Sohn. Immerhin hat der eine Wahrhaftigkeit, es hat ihn wirklich gegeben.

Wie ist Jesus denn so?

Wie du und ich. Sehr offen, für alle Lebensformen übrigens. Er bewertet nicht, denkt aber kritisch. Ich könnte mir vorstellen, dass er an die Wall Street marschiert und einen Computer an die Wand schmeißt. Mutig ist er natürlich auch. Für eine Idee zu sterben, die sich nicht beweisen lässt – das muss man bewundern.

Sie schreiben zu Beginn Ihres Buches, dass Sie Jesus schon früher getroffen haben. Zum Beispiel?

Auf Lamu, in Gestalt von Frauen, die ein Mädchen versorgten, das schwer verletzt im Straßengraben lag.

Sind Jesus oder Gott Metaphern für das Gute im Menschen?

Könnte man meinen, aber es geht ja noch weiter – nämlich nach dem Tod. Diese Vorstellung ist ein wesentlicher Bestandteil des Christentums und sehr beruhigend. Wenn ich weiß, dass mit dem Tod nicht alles vorbei ist, dann sind Katastrophen relativ. Ich bin einmal in Italien mit dem Motorrad unterwegs gewesen, eine BMW 900, breite Landstraße, 160 Kilometer pro Stunde. Plötzlich schert vor mir ein Fiat aus. In dem Moment sehe ich alles: den Krankenwagen, mich selbst, meine Eltern, die Beerdigung. Und dann reißt jemand die Maschine rum und ich touchiere das Auto nur, komme noch einmal davon.

Jesus greift im entscheidenden Moment ins Lenkrad?

Wenn Sie so wollen. Irgendjemand hat beschlossen, mich noch ein wenig um die Welt zu schicken.

Ihr Buch lässt sich als platonischer Dialog verstehen. Der Philosoph formulierte seine Weltsicht, indem er fiktive Gesprächspartner zu Wort kommen ließ.

Interessante Lesart. Allerdings habe ich Ideen von Sokrates bis Nietzsche, von Luther bis Karl Marx abgeklopft. Da war nichts wirklich hilfreich fürs Herz. Mit Jesus hingegen habe ich tatsächlich gesprochen.

Wie darf man sich das vorstellen?

Am liebsten wäre mir, Sie würden sich da gar nichts vorstellen. So wie man sich den Geist nicht vorstellen kann oder die Seele. Da war kein Getöse, das Jesus‘ Auftritt einläutete. Ich habe mich hingelegt, im Kopf die Fragen gestellt. Die Antworten – das klingt blöd, aber was soll ich lügen – sind aus der Gegend meines Herzens gekommen. Nachdem ich die Bedenken einer Schizophrenie verworfen hatte, habe ich gelernt, genau zuzuhören, zwei Jahre lang.

Ist nicht davon auszugehen, dass Sie sich die wichtigen Fragen des Lebens selbst beantworteten?

Eine eher aufklärerische Idee. Nennen Sie mich Spinner, aber ich glaube, dass jeder mit Jesus reden kann, und viele Menschen tun das auch. Wohin geht der Blick, wenn es uns sehr schlecht geht? Nach oben. Das sind keine Selbstgespräche, wir wenden uns an jemand Drittes.

Die Widmung Ihres Buches ist recht generös: „Für alle.“ Ist Ihr Buch ein Ratgeber?

Ich habe Zuschriften von Menschen bekommen, die es in einer schweren Lebenskrise in die Hand bekommen haben. Es hat ihnen wohl geholfen.

Aber könnten die nicht bei Jesus direkt Trost suchen? Und wer kauft dann Ihr Buch?

Hab ich auch geraten: Nervt Jesus ruhig mit eurem Problem. Erwartet nicht, dass die Gesamtlösung in der nächsten Minute kommt, aber sie wird kommen. Dazu braucht es keine Kirche und keine Gebetsbank.

Jesus sagt an einer Stelle Ihres Buches: „Das Christentum ist weit mehr als das, was die Kirche daraus macht.“ Was macht die Kirche falsch?

Sie ist eine Machtorganisation geworden, die anderen viel zu oft ihre Ansichten aufzwingen will. Jesus wollte nie eine Kirche gründen.

Was bedeutet Ihnen Weihnachten?

An diesem Tag ist Jesus für uns geboren – wir feiern praktisch alle Geburtstag. Das ist doch nett. Das Fest an sich ist mir eher unwichtig. Ich finde gut, dass es wieder länger hell ist, und ich liebe es, anderen eine Freude zu machen. Eine beliebte Übung für Christen.

Weihnachten ist heute ein Geschäft. Es wird überliefert, dass Jesus die handeltreibenden Pharisäer aus dem Tempel geworfen hat. Was dächte er wohl, wenn er über deutsche Weihnachtsmärkte schlenderte?

Vielleicht würde er den Kopf schütteln, aber er könnte immerhin Glühwein in guten Wein verwandeln. Im Ernst: Der Mensch will feiern. Ob zur WM oder am Geburtstag von Gottes Sohn. Das Warum interessiert kaum. Damit muss man leben. Trotzdem glaube ich, dass wir uns mit dem vielleicht wichtigsten Erbe unserer Zivilisation auseinandersetzen sollten. Mit dem Gedanken, dass Gott die Menschen als gleichwertig geschaffen hat und uns seinen Sohn überließ, damit die Brücke zwischen uns wiederhergestellt wird. Wenn jeder zwischen Gänsekeule und Mülltüte mal kurz darüber nachdenkt, macht Weihnachten Sinn.

 

FREIE PRESSE vom 24.12. 2013 Interview über ein Interview von Ulrike Nimz ‚ Jesus ist wie du und ich‘.

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