(Berliner Zeitung vom 31.05.2007)
„Die Himmelswiese“ und ihre kleinen Wunder:
Ein unerwartet zuversichtlicher Film über das Aids-Waisendorf Baan Gerda
Von Abini Zöllner
Was macht man mit Kindern, die nicht sterben? Die dem Tode geweiht sind, deren Körper verfallen, die HIV haben. Vernachlässigen? Abschotten? Im Dschungel aussetzen? Ja, so abwegig reagieren Familien. Zum Beispiel in Thailand, dem Land des Lächelns. Nein, so hinzunehmen ist das nicht. Was also macht man mit Kindern, die nicht sterben? Pflegen. Und lieben.Es gibt weltweit über10 Millionen Aids-Waisen. Viele von ihnen, selbst HIV-infiziert, haben keine Lobby. „Ich habe meine Eltern nur ein einziges Mal gesehen. Als sie gestorben waren“, erzählt ein Junge. Sie seien jetzt auf der „Himmelswiese“.
„Die Himmelswiese“ heißt auch der Dokumentarfilm. Aber: Er zeigt die, die zurückbleiben. Hier, auf Erden. 240 Kilometer vor Bangkok.Baan Gerda ist ein kleines Dorf in Thailand, gegründet vom ehemaligen Südostasien-Chef der Firma Henkel, Karl Morsbach, benannt nach seiner Mutter. Gerda bedeutet die Schützerin, Baan steht für Heimat. 54 Kinder wurden in Baan Gerda bisher gerettet. Nicht weniger.Der Tod ist hier nicht willkommen. Die Kinder erhalten Bildung, Medikamente, ein Zuhause. Mehr noch: Akzeptanz, Zuneigung, Berührung. Der Gedanke des Projektes lautet: „Nur ein glückliches Kind hat Aussicht auf Heilung“.
Dabei lässt sich Wohlgefühl überhaupt nicht messen – doch sicher ist: Ausgestoßene Kinder sterben schneller. Hier eben nicht. Die Philosophie der Liebe ist schlicht, aber wirksam.Anfangs haben sie in Baan Gerda noch eine Rollstuhlrampe gebaut – für die Pflegefälle. Aber „wir haben keine Kinder im Rollstuhl“, sagt Karl Morsbach. Denn etwas Unerwartetes passierte: Eigentlich sollten die Kinder beim Sterben würdevoll begleitet werden. Und als sie nicht starben? Wurden sie gepflegt. Und seit sie gedeihen? Werden sie auf das Leben vorbereitet.Gezeigt wird ein schönes Zentrum unter Palmen: mit einer Schule und einem Hospital in der Nähe, mit festen Häusern und einer luftigen Mehrzweckhalle, mit engagierten Mitarbeitern und fröhlichen Kindern.
Keine traumatisierten Opfer, keine dramatischen Momente. Die Armut, die Katastrophe springt einem in diesem Film nicht entgegen. Der Ton des Sprechers Hubertus Bengsch bleibt angenehm unaufgeregt. Und die kleinen Bewohner sagen Dinge wie: „Ich habe eine Chance bekommen und möchte, dass andere auch eine haben.“ Zu sehen sind muntere, planschende, behütete Kinder. „Mehr brauchen sie nicht, um glücklich zu sein“, erklärt Projektchef Morsbach.
Schwerer als das körperliche Leiden wäre für sie seelische Einsamkeit.Buddhistische Demut, das hätte die westliche Welt erwartet. Aber spirituelle Kraft? Glauben und Gebete, Reiki und Rosen, Lachen und Liebe? Damit kann eine Gesellschaft, die eher mit Fakten hantiert, kaum umgehen. Fast vergisst man, dass viele Kinder in Baan Gerda dem Tode geweiht waren. Aber dass die Dokumentation statt des Dilemmas die Auswege aus dem Dilemma zeigt, ist gerade ihre Stärke.
In einer Szene berichtet ein Arzt, wie eine Frau die Aids-Station besuchte und hysterisch schrie: „Wo sind die sterbenden Kinder?“ Es gab aber nur vor sich hinvegetierende Erwachsene. Sie hatte es sich einfacher vorgestellt, ihr Gewissen zu bedienen.
Der Regisseur Detlev F. Neufert steckte sein Geld in den Film, bis er bei Banken nicht mehr kreditwürdig war. In Thailand konnte er kaum das Benzin bezahlen, in Deutschland wurde ihm die Mietwohnung gekündigt. Er ist ein leiser Enthusiast, ein aufrichtiger Gutmensch. Ein hoffnungsloser Fall – würden hochnäsige Redakteure sagen und daran erinnern, dass sich „ein guter Journalist nicht gemein macht mit einer Sache. Auch nicht mit einer guten.“ Warum nicht?, fragt Neufert zurück und zeigt ein Zitat von Wolfgang Joop: „Ignoranz ist ansteckend“. Allen ist bewusst, dass in Zukunft mehr Menschen an Aids sterben werden als durch Kriege oder Naturkatastrophen.
Aber kein deutscher Sender wollte seinen Film, der „sehr schön“ sei, aber „leider nicht ins Programm passt“. Ein Zeitungsredakteur wimmelte ihn sogar mit den Worten ab: „Aids-Waisen fallen durch unser Raster“. Und zur Pressevorführung ins Kino kam nur ein Journalist.
Doch Neufert bleibt unermüdlich. Helmut Schmidt und Horst Köhler hat er die DVD gezeigt. Regisseur Wolfgang Petersen lobte den Film als tief bewegenden, der „zugleich mit einer Fröhlichkeit ansteckt, die bisher beim Thema Aids unbekannt war.“ So ist dieser Film auch eine Geschichte der Courage, allem Zynismus zum Trotz. Denn Neufert besitzt den ungeheuren Mut, das Glück zu thematisieren.
2005 hatte „Die Himmelswiese“ Premiere in Bangkok, die 16-jährige Majtihnee entschied danach: „Ich werde Krankenschwester.“ Indes gab es Vorführungen in China, Niger, Bhutan, Frankreich und Brasilien. Ebenso bewährt sich das Projekt: Baan Gerdas gibt es nun auch in Kambodscha und Burma. Doch in Deutschland kann man erst jetzt erfahren, wie sich Harmonie vorweisbar dokumentieren lässt. Neuferts Geschick ist es zu verdanken, dass dabei kein Rundum-Sorglos-Paket geschnürt wurde, sondern ein Aufklärungsfilm entstand. Diese Leistung wurde bisher unverschämt herabgesetzt.Aber hierzulande wird ja auch gern das Publikum unterschätzt.
Die Himmelswiese Deutschland 2005. Regie: Detlev F. Neufert, Kamera: Inigo Westmeier, 90 Minuten, Farbe.Im Babylon (Mitte): 4., 7., 9., 11. Juni (20 Uhr), 10. Juni (16 Uhr).
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Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/15618658 ©2017
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